Humboldt-Universität zu Berlin - Philosophische Anthropologie

Humboldt-Universität zu Berlin | Institut für Philosophie | Philosophische Anthropologie | Lehre | Kommentiertes Verzeichnis der Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2014

Kommentiertes Verzeichnis der Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2014

 

VL Einführung in die Philosophie der Kausalität (VEV) / Introduction to the Philosophy of Causality

Geert Keil

Veranst.Nr. 51 004

UL 6, 2002; ab Fr., 25.04.2014, wöch. 14-16 Uhr

 

Kausalität ist kein Spezialthema der Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften, das man in anderen Gebieten der Philosophie auf sich beruhen lass en könnte. Phänomene wie Wahrnehmung, Handlung oder Erinnerung wären ohne ihren kausalen Anteil nicht verständlich, jeder von uns fällt täglich eine Unzahl von expliziten und impliziten Kausalurteilen, in vielen Einzelwissenschaften sind kausale Erklärunge n der wichtigste Erklärungstyp. In der Philosophie der Kausalität werden u.a. die folgenden Fragen behandelt: Was für Arten von Gegenständen können überhaupt Ursachen und Wirkungen voneinander sein? Machen Ursachen ihre Wirkungen notwendig? Ist Kausalität etwas in der Welt oder etwas im menschlichen Geist? Ist das Prinzip, dass jedes Ereignis eine Ursache hat, eine Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung? Ist die Körperwelt kausal geschlossen? Gibt es verschiedene Arten von Kausalität? Können auch Akteure im Wortsinn etwas verursachen? Abhängig von den Antworten ergeben sich Folgeprobleme, zum Beispiel: Ist in einer Welt, in der alle Ereignisse physische Ursachen haben, Freiheit eine Illusion? Wie verhalten sich Ursachen und Gründe zueinander?
In der Vorlesung werden neben diesen Fragen die wichtigsten Kausalitäts Theorien behandelt (Regularitätstheorie, kontrafaktische Theorie, Transfertheorie, Interventionismus etc.), außerdem die klassischen Kausalitätsauffassungen von Aristoteles, Hume und Kant. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Rolle der Kausalität in den Humanwissenschaften, insbesondere in der Geschichtswissenschaft, im Recht und in der Psychologie.

Es werden begleitende Tutorien angeboten.

 

 

PS Der Streit über den Ursprung der Sprache / The debate about the origin of language

Geert Keil

Veranst.Nr. 51 025

DOR 24, 1.406; ab Mi., 16.04.2014, wöch. 12-14 Uhr

 

Sprache hat es nicht immer gegeben. Sie muss aus etwas entstanden sein, was nicht Sprache war. Der Streit über den Ursprung der Sprache hatte im 18. Jahrhundert bereits eine große Zahl von Abhandlungen hervorgebracht, als er 1772 durch eine Preisfrage der Preußischen Akademie der Wissenschaften noch einmal neu angefacht wurde. Die Akademiefrage lautete: „Haben die Menschen, ihren Naturfähigkeiten überlassen, sich selbst Sprache erfinden können?“ Johann Gottfried Herder, der den Preis mit seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache gewann, erkannte eine innere Spannung der Frage: Seit Platon hatten Philosophen die Vernunft- und Sprachfähigkeit als definierendes Merkmal des Menschen angenommen, was die Frage, wie der Mensch zur Sprache kam, strenggenommen unbeantwortbar macht. Bevor er Sprache hatte, war er noch nicht Mensch, und als er Mensch war, musste er die Sprache nicht mehr erfinden. In der historischen Kontroverse standen drei Sprachursprungstheorien einander gegenüber: Nach der konventionalistischen Auffassung entstammt die Sprache menschlicher Übereinkunft, nach der naturalistischen Auffassung einer Fortentwicklung tierischer Naturlaute, nach der supranaturalistischen kommt sie von Gott. Heute ist aus dem Sprachursprungsstreit ein wissenschaftliches Forschungsprogramm geworden, das interdisziplinär von Linguisten, Evolutionsbiologen, Kognitionswissenschaftlern und Paläoanthropologen betrieben wird. Das Seminar soll einen Überblick über die historische Kontroverse verschaffen, aktuelle Forschungsliteratur auf philosophische Probleme hinauswerten und insbesondere die Bedeutung des Sprachursprungsstreits für die Frage nach der „anthropologischen Differenz“ erörtern, also der Frage, was den Menschen von den anderen Tieren unterscheidet .

 

CO Philosophisches Kolloquium / Philosophical Colloquium

Geert Keil

Veranst.Nr. 51 077

UL 6, 3103; ab Do., 17.04.2014, wöch. 10-13 Uhr

 

Das Kolloquium wendet sich an fortgeschrittene Studierende und Doktoranden. Es bietet ein Forum zur Diskussion im Entstehen begriffener eigener Arbeiten und zur gemeinsamen Lektüre aktueller Forschungsliteratur. Es wird mehrere thematische Schwerpunkte geben, die in der ersten Sitzung gemeinsam festgelegt werden. Wer teilnehmen möchte, meldet sich bitte bei kerstin.helf@hu-berlin.de an.

 

 

PS Platons Kritik an der Kunst / Plato's critique of art

Nora Kreft

Veranst.Nr. 51 028

SO 22a, 4.11; ab Di., 15.04.2014, wöch. 16-18 Uhr

 

Platon lässt Sokrates in seinen Dialogen wiederholt diskutieren, was Kunst ist und wie sich Kunst von Philosophie unterscheidet. Er interessiert sich insbesondere für die Dichtung (und meint damit nicht nur die Werke der Tragiker, Komödienschreiber und Epiker, sondern auch die Aufführungen): welche Funktion hat Dichtung eigentlich, fragt er immer wieder, und welches Ziel verfolgen Dichter? Oberflächlich betrachtet lügen sie uns ja ständig an, wenn sie uns erfundene Geschichten erzählen – aber wollen sie uns mit diesen ‚Lügen’ bestimmte Wahrheiten vermitteln? Gelingt ihnen das? Meistens gibt Sokrates irgendwann zu erkennen, dass er der Dichtung gegenüber kritisch ist: selbst wenn es den Dichtern letztlich auch um Wahrheit geht, wählen sie doch die falschen Mittel dazu. Wahrheit wird nicht in oder durch Dichtung gefunden und vermittelt, sondern durch Philosophie. Und damit meint Sokrates eine bestimmte Art der Gesprächsführung, die u.a. voraussetzt, dass alle Gesprächspartner einander als gründe - geleitete Wesen ernstnehmen. Eben das scheinen die Dichter mit ihrem Publikum nicht zu tun. In diesem Seminar beschäftigen wir uns mit Platons, bzw. Sokrates’ Kunstkritik und so auch mit seinem Philosophieverständnis. Wir lesen Ausschnitte aus mehreren Dialogen (wie z.B. Ion, Symposium, Politeia und Phaidros) – die allesamt nicht nur für philosophische, sondern auch für große dichterische Werke gehalten werden. (Hätte Platon sie auch für Dichtung gehalten? Wenn ja, was heißt das für seine Kritik?)

Lektüre zu Vorbereitung:
Platon: Ion

 

 

HS Existenzialismus / Existentialism

Nora Kreft

Veranst.Nr. 51 061

DOR 24, 1.308; ab Mi., 16.14.2014, wöch. 12-14 Uhr

 

Aristoteles zufolge bedeutet ‚zu sein’ immer ‚etwas Bestimmtes zu sein’ – deshalb gehe die Essenz von Dingen ihrer Existenz begrifflich voraus. Die ExistentialistInnen drehen dieses Verhältnis um: wenigstens bei Menschen sei die Existenz insofern der Essenz vorangestellt, als dass Menschen ihre Essenz selbst wählen könnten. Nun steht das vielleicht nicht im Widerspruch zu Aristoteles’ Diktum, denn mit ‚Essenz’ meinen sie möglicherweise etwas anderes und spezifischeres als Aristoteles, nämlich eine bestimmte Art der Lebensführung. Jedenfalls sind Menschen dem Existenzialismus zufolge auf keine besondere Lebensweise festgelegt, sondern zur absoluten Freiheit ‚verdammt’. Wir sind ständig vor die Herausforderung gestellt, uns für die eine oder andere Option zu entscheiden – eine Situation, in der wir uns bewusst für nichts entscheiden, gibt es nicht, denn auch das wäre ja eine Entscheidung. Ein (oder gar das) Entscheidungskriterium ist ‚Authentizität’: Selbst, wenn es keine weiteren objektiven Richtlinien für richtige Entscheidungen gibt (viele ExistentialistInnen verneinen z.B. die Existenz von objektiven Werten), so gilt doch wenigstens, dass wir uns jeweils für Handlungen und Lebensweisen entscheiden sollen, zu denen wir stehen und mit denen wir uns identifizieren wollen.
In diesem Seminar lesen wir Texte von wichtigen VertreterInnen des Existentialismus wie Albert Camus, Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre; und versuchen auf diese Weise, die zentralen Gedanken und Motive dieser philosophischen Strömung zu verstehen. Wir werden uns schließlich auch fragen, wo existentialistische Ideen in zeitgenössischen Debatten über das Wesen des Menschen, Freiheit, Selbst-Konstitution und Authentizität auftauchen und inwiefern sie wichtig und fruchtbar sind.
Lektüre zu Vorbereitung:
Kierkegaard: Furcht und Zittern
Sartre: Ist Existenzialismus ein Humanismus?

 

 

PS Theorien über Raum und Zeit / Theories of Space and Time

Beate Krickel

Veranst.Nr. 51 029

I 110, 239; ab Di., 15.04.2014, wöch. 16-18 Uhr

 

Wir leben in einer räumlich und zeitlich ausgedehnten Welt: Ich sitze auf einem Stuhl, vor mir steht mein Schreibtisch. Der Stuhl, mein Schreibtisch und ich befinden sich in einem Zimmer. Rechts neben diesem Zimmer befindet sich die Küche. In dieser Küche habe ich mir vor wenigen Minuten mein Frühstück zubereitet, nachdem ich zu spät aufgestanden bin. Beschreibungen wie diese legen nahe, dass Dinge im Raum in bestimmten räumlichen Relationen existieren und dass bestimmte Prozesse oder Ereignisse in diesem Raum stattfinden, die eine gewisse Zeit dauern und in einer bestimmten Reihenfolge ablaufen.
Ausgehend von unseren alltäglichen Annahmen über Raum und Zeit stellt sich die Frage, was Raum und Zeit aus einer philosophischen Perspektive sind und in welchem Sinne man davon ausgehen kann, dass es Raum und Zeit gibt. Zunächst scheinen Raum und Zeit relationaler Natur zu sein: Dinge liegen zum Beispiel nebeneinander und Ereignisse finden vor oder nach anderen Ereignissen statt. Neben dieser relationalen Raum- und Zeitauffassung haben die meisten die Intuition, dass Raum und Zeit, ähnlich wie Gefäße, Dinge bzw. Ereignisse enthalten. Demnach existieren Raum und Zeit nicht nur als relationale Begriffe, sondern zudem als absolute Begriffe. In der Metaphysik nennt man die Theorie, dass Raum und Zeit bloß relational bestimmt werden, Relationalismus. Die These, dass Raum und Zeit wie Gefäße Dinge und Ereignisse enthalten, nennt man Substantialismus.
Im Seminar werden wir uns mit historischen und modernen Texten (Englisch und Deutsch) zur Relationalismus-Substantialismus-Debatte befassen. Weitere Fragen, die wir im Seminar beleuchten wollen, sind z.B.:
- Existieren Raum und Zeit unabhängig voneinander?
- Warum vergehen Prozesse immer nur in eine Richtung?
- Könnte es sein, dass mehrere Zeiten nebeneinander existieren?
- Kann es Zeit ohne Veränderung geben?

Literatur:
Carrier, Martin (2009). Raum-Zeit. Berlin/New York: de Gruyter.
Müller, Thomas (Hrsg.) (2007). Philosophie der Zeit. Neue analytische Ansätze, Klostermann RoteReihe Band 24.
Der Leibniz-Clarke Briefwechsel. Volkmar Schüller (Hrsg. ). Akademie, Berlin 1991.
Eintrag “Time” in der Stanford Encyclopedia: http://plato.stanford.edu/entries/time/
Dainton, Barry (2010) Time and Space, Second Edition. McGill-Queens University Press.