Humboldt-Universität zu Berlin - Philosophische Anthropologie

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Kommentiertes Verzeichnis der Lehrveranstaltungen

Sommersemester 2011
VL Was können wir wissen?/What Can We Know? (b, LA/S1)

Geert Keil

Veranst.Nr. 51 005

UL 6, 2002; ab Mi., 13.04.2011, wöch. 10-12 Uhr

 

Im Mittelpunkt der Vorlesung werden die beiden Hauptfragen der Erkenntnistheorie stehen: „Was ist Wissen?“ und „Was können wir wissen?“ Ferner werden erkenntnistheoretische Grundbegriffe (u. a. Rechtfertigung, Wahrheit, Irrtum, Fehlbarkeit, Wahrnehmung, Erinnerung, a priori und a posteriori) und erkenntnistheoretische Positionen erörtert (Rationalismus, Empirismus, Realismus, Naturalismus, Konstruktivismus, Phänomenalismus, Apriorismus, Skeptizismus, Fallibilismus, Fundamentalismus, Kohärentismus, Reliabilismus, Kontextualismus, Internalismus, Externalismus).
Die Vorlesung ist systematisch angelegt, doch auch die erkenntnistheoretischen Auffassungen von Platon, Aristoteles, Descartes, Locke, Berkeley, Hume, Kant, Wittgenstein und Quine werden vorkommen.
Mit der Frage, was wir wissen können, hat Kant die Erkenntnistheorie in eine anthropologische Perspektive gerückt, die auch in der Vorlesung eingenommen wird. Den beiden Hauptfragen der Erkenntnistheorie ist der zuweilen vernachlässigte Umstand wesentlich, dass sie im Hinblick auf Wesen wie uns gestellt werden – neugierige und fehlbare Wesen mit einer bestimmten evolutionär erworbenen und kulturell verfeinerten kognitiven Ausstattung –, nicht im Hinblick auf Ameisen, Computer oder Gott.

 

 

HS Philosophische und juristische Handlungstheorien/Action Theory in Philosophy and in Criminal Law (b, c, LA/S1, S2)

Geert Keil

Veranst.Nr. 51 066

DOR 24, 1.406; ab Mi., 13.04.2011, wöch. 12-14 Uhr

 

Im Zentrum der philosophischen Handlungstheorie stehen die beiden Fragen, was Handlungen sind und wie sie am besten erklärt werden können. Die Definition des Handlungsbegriffs und die Theorie der Handlungserklärungen hängen miteinander zusammen, denn wie auch immer der Unterschied zwischen Handlungen und bloßen Körperbewegungen bestimmt wird, er ist dafür verantwortlich, dass Handlungen auf andere Weise erklärt werden als beliebige Naturereignisse.
In der Rechtswissenschaft sind handlungstheoretische Überlegungen am weitesten in der strafrechtlichem Zurechnungslehre ausgearbeitet. Zwischen der juristischen und der philosophischen Diskussion gibt es vielfältige Parallelen, die aber in keinem der beiden Fächer systematisch reflektiert werden.
Das Seminar zielt unter anderm auf eine synoptische Klärung von handlungstheoretisch relevanten Begriffen in beiden Disziplinen: Absicht und Absichtlichkeit, Vorsatz und Fahrlässigkeit, praktische Gründe und praktisches Schließen, Kausalität, Gründe und Ursachen, Zwecke und Mittel, kausale und finale Handlungserklärungen, Bedingungen der Zurechnung, Vermeidbarkeit, Unterlassungen, Risiko, Erfolg und Zufall, Haupt- und Nebenfolgen, abweichende Kausalketten.

 

 

CO Philosophisches Kolloquium/Philosophical Colloquium

Geert Keil

Veranst.Nr. 51 090

UL 6, 3103; ab Do., 14.04.2011, wöch. 10-13 Uhr

 

Das Kolloquium wendet sich an fortgeschrittene Studierende und Doktoranden. Es soll der gemeinsamen Lektüre aktueller Forschungsliteratur dienen und bietet ein Forum zur Diskussion im Entstehen begriffener eigener Arbeiten. Es wird mehrere thematische Schwerpunkte geben, die in der ersten Sitzung gemeinsam festgelegt werden.
Die Teilnahme ist nur nach Rücksprache vor Semesterbeginn oder auf persönliche Einladung hin möglich. Um eine Voranmeldung bei Frau Rehs wird gebeten (RehsU@philosophie.hu- berlin.de), inhaltliche Vorschläge bitte direkt an mich (geert.keil@hu-berlin.de).

 

 

PS Moralischer Relativismus/Moral Relativism (c, d, LA/S1, S2)

Alexander Dinges

Veranst.Nr. 51 019

I 110, 241; ab Fr., 15.04.2011, wöch. 14-16 Uhr

 

Offensichtlich gelten in verschiedenen Kulturen verschiedene Verhaltensweisen als gut oder schlecht. Manche Philosophen behaupten, dass diese Einsicht eine weitaus stärkere Behauptung nach sich zieht: dass nämlich nicht nur in verschiedenen Kulturen Verschiedenes für gut gehalten wird, sondern dass in verschiedenen Kulturen auch Verschiedenes gut ist. Wer eine solche These akzeptiert, ist moralischer Relativist. Moralische Relativisten behaupten, dass es keine objektiven moralischen Wahrheiten gibt, dass moralische Aussagen immer nur relativ zu einer Kultur wahr sind.

Im Seminar sollen im Wesentlichen drei Fragen behandelt werden: Was genau besagt der moralische Relativismus? Was spricht für ihn und was spricht gegen ihn?

Textgrundlage bilden Veröffentlichungen verschiedener zeitgenössischer, vorwiegend englischsprachiger Autoren.

 

 

PS Philosophie und Psychiatrie/Philosophy and Psychiatry (b, c, d, LA/S1, S2)

Rico Hauswald

Veranst.Nr. 51 027

I 110, 239; ab Mo., 18.04.2011, wöch. 14-16 Uhr

 

Die Entwicklung der‚nächsten Generation’ psychiatrischer Klassifikationssysteme (DSM-V und ICD-11) und die damit einhergehende Grundlagendiskussion ist in vollem Gange. Das lässt im Grenzbereich zwischen Philosophie und Psychiatrie angesiedelte Probleme, von denen viele bereits seit Jahrzehnten intensiv untersucht werden, nach wie vor besonders aktuell erscheinen. Dabei handelt es sich sowohl um ontologische Fragen (nach der Realität von ‚Geisteskrankheiten’), als auch um wissenschaftstheoretische (etwa nach dem Status psychiatrischer Erklärungen) und ethisch-normative Fragen (z.B.: Welche Auswirkungen haben psychische Störungen auf Handlungsfähigkeit, Freiheit und Verantwortlichkeit der Betroffenen?). Nicht zuletzt sind aber auch Bezüge zur Philosophie des Geistes evident, denn das Studium der Störungen hat sich zunehmend als fruchtbar erwiesen für das Verständnis grundlegender Strukturen und Funktionsweisen von Gehirn und Bewusstsein überhaupt.

Literatur: Einen ersten Überblick über einige der zu behandelnden Fragestellungen liefern dieArtikel von Dominic Murphy: Philosophy of Psychiatry, SEP 2010, http://plato.stanford.edu/entries/psychiatry/ und Christian Perring: Mental Illness, SEP 2001/2010, http://plato.stanford.edu/entries/mental-illness/
Weitere Literatur wird zu Beginn des Seminars vorgestellt.

 

 

PS Personen verstehen: Theorie oder Empathie?/Mind Reading: Theory or Empathy? (b, LA/S1, S2)

Philipp Hübl

Veranst.Nr. 51 028

I 110, 241; ab Di., 12.04.2011, wöch. 12-14 Uhr

 

Die Psychologen Haider und Simmel zeigten Versuchspersonen einen einfachen Zeichentrickfilm, in dem sich zwei Dreiecke und ein Kreis hin- und herbewegten. Die Probanden behandelten die Figuren wie Menschen. Sie sagten „Der Kreis und das Dreieck sind verliebt“ oder „Der Kreis hat Angst vor dem großen Dreieck“. Wer den Film sieht, kann sich dieser Suggestion tatsächlich nicht entziehen.

Die Fähigkeit, uns in andere einzufühlen und hineinzudenken, bezeichnet man als „mind rea- ding“, also Gedankenlesen. Damit ist nicht Telepathie gemeint, sondern unsere Fähigkeit, am Verhalten anderer zu sehen, was sie glauben, fühlen, wollen und beabsichtigen. Wir sind darin so gut, dass wir sogar in geometrischen Figuren Personen erkennen.

Unser Personenverständnis drückt sich auch in unseren Handlungserklärungen aus. Warum sticht Hamlet in den Vorhang? Weil er Claudius aus Rache töten will und glaubt, dass er sich dahinter versteckt. Das Zuschreiben von Wünschen und Überzeugungen gehört zu unserer „belief-desire psychology“ oder auch „folk psychology“, also der Alltagspsychologie.

Der Theorie-Theorie zufolge verstehen wir andere auf Grundlage einer impliziten Theorie. Die Simulationstheorie sagt hingegen, dass wir ihre Handlungen mental nachspielen. Im Seminar steigen wir in diese Debatte ein. Wir diskutieren auch neuere empirische Arbeiten, beispielsweise zu Spiegelneuronen oder zum Autismus.

Wir lesen Texte von Baron-Cohen, Carruthers, Churchland, Dennett, Fodor, Gallese und Rizzo- latti, Gopnik, Horgan, Ravenscroft und Stich.

 

 

HS Wahrheitstheorien/Theories of Truth (a, b, d, LA/S1, S3)

Philipp Hübl

Veranst.Nr. 51 063

I 110, 241; ab Mi., 13.04.2011, wöch. 12-14 Uhr

 

Als Jesus sagte, er sei auf der Welt, um die Wahrheit zu bezeugen, entgegnete Pilatus rhetorisch „Was ist Wahrheit?“ Wäre Pilatus an einer Antwort interessiert gewesen, hätte er präziser fragen können, nämlich einmal nach den Wahrheitswertträgern, also den Entitäten, die überhaupt wahr sein können. Moderne Kandidaten sind Sätze, Äußerungen, Überzeugungen, Propositionen, Behauptungen, Gedanken, Urteile und Theorien.

Pilatus hätte auch nach einer können. Worin besteht Wahrheit: in der Übereinstimmung mit den Tatsachen, im Konsens der Wissenschaftler? Liegt Wahrheit in der Methode der Verifikation, markiert sie den Endpunkt der Wissenschaft, oder ist das Wahrheitsprädikat vielleicht sogar überflüssig?

Pilatus hätte schließlich noch zwei weitere Fragen anschließen können. Die nach dem Wahrheitskriterium. Wann können wir uns sicher sein, dass eine Behauptung wahr ist? Und die nach den Wahrmachern. Was macht eine Behauptung wahr: Situationen, Tatsachen, Sachverhalte oder vielleicht die Welt als Ganzes?

Im Seminar diskutieren wir klassische Aufsätze und steigen dann in die moderne Debatte ein. Schwerpunkte bilden die Fragen, ob der Wahrheitsbegriff definierbar und das Wahrheitsprädikat eliminierbar ist und ob Wahrheit zeitgebunden ist oder ob es ewige Wahrheiten gibt, auch wenn wir sie nie erkennen können.

Wir lesen Texte von Austin, Davidson, Dummett, Field, Frege, Horwich, Künne, Ramsey, Strawson, Tarski und Wright.

 

 

PS Dworkin über die Rechtsprechung (und andere Praktiken)/Dworkin on the Law (and other Practices) (c, d, LA/S1, S2)

Matthias Kiesselbach

Veranst.Nr. 51 031

I 110, 241; ab Mo., 18.04.2011, wöch. 10-12 Uhr

 

Ronald Dworkin hat in seiner langen intellektuellen Karriere eine Interpretation der Rechtsprechungspraxis entwickelt, die in einem interessanten Spannungsfeld steht. Einerseits gilt ihre zentrale These, dass es in juristischen Streitigkeiten (fast) immer jeweils eine richtige Lösung gibt, unter Rechtsphilosophen als krasse Außenseiterposition. Andererseits sehen nicht wenige Anwälte und Richter ihre Selbstverständnisse als Teilnehmer der Rechtsprechungspraxis durch Dworkins Theorie akkurat wiedergegeben. Für viele von ihnen betrifft dies sogar Dworkins kontroverse Behauptung, dass der Rechtsdiskurs ein Teil des umfassenderen moralischen Diskurses ist. Aufgrund dieses Spannungsfeldes gibt eine Beschäftigung mit Dworkins Werk Gelegenheit zum Nachdenken darüber, was überhaupt die Ziele eines philosophischen Kommentars einer Praxis sind, und welche Rolle die Selbstverständnisse der Praxisteilnehmer darin spielen sollten.

In letzter Zeit hat Dworkin seine Theorie in mindestens drei Dimensionen auf eine interessante Weise fortgeführt und dabei zum Teil explizit zu den genannten Fragen Stellung bezogen. Erstens findet sich in jüngeren Schriften Dworkins eine sprachphilosophisch fundierte Verteidigung des moralischen Objektivismus, die unter anderem auf der Idee basiert, dass der philosophische Kommentator selber ein Teilnehmer der kommentierten Praxis sein muss. Zweitens gibt Dworkin neue Impulse in der Frage um das richtige Verständnis des Wandels normativer Praxis, inklusive der Praxis der moralischen Bewertung. Und drittens ist Dworkin – in seinem neuesten Buchprojekt – damit beschäftigt, seine Theorie der Moral auszubauen in eine Theorie der praktischen Vernunft überhaupt.

Im Seminar „Dworkin über die Rechtsprechung (und andere Praktiken)“ sollen sowohl die Grundzüge der Dworkinschen Rechts- und Moralphilosophie als auch die skizzierten neueren Entwicklungen behandelt werden.

Lektüre (u.a.): Ronald Dworkin, „No Right Answer“, New York University Law Review, 1978 Ronald Dworkin, Law's Empire, Harvard University Press, 1986.
Ronald Dworkin, „Objectivity and Truth: You'd Better Believe It“, Philosophy and Public Affairs 25.2, 1996.
Ronald Dworkin, Justice for Hedgehogs [unveröffentlicht].
H.L.A. Hart, The Concept of Law, Oxford University Press 1994 [1961].
Justine Burley (ed.), Dworkin and his Critics, Blackwell 2004.

 

 

PS Theorien des Selbst/Theories of the Self (b, d, LA/S2)

Beate Krickel, Marc Borner

Veranst.Nr. 51 032

I 110, 239; ab Mi., 13.04.2011, wöch. 10-12 Uhr

 

In der Philosophie wird mit dem Ausdruck „Selbst“ das bezeichnet, was den Kern personaler Identität ausmacht, was der Träger von Überzeugungen und Wünschen ist und was Handlungen ausführt und für diese verantwortlich ist. Intuitiv gehen wir von der Existenz eines solchen Selbst aus. Schließlich ist dessen Existenz uns in unserem Selbstbewusstsein unmittelbar gegenwärtig. Aus Sicht der Philosophie stellen sich jedoch einige Fragen im Bezug auf die Natur des Selbst und unserer Fähigkeit, Zugang zu diesem zu haben. Gibt es überhaupt etwas wie das Selbst? Und wenn ja, ist das Selbst ein immaterielles oder ein materielles Ding? Liefert uns unser Selbstbewusstsein einen Zugang zu diesem Selbst? Und was kann man unter Selbstbewusstsein in diesem Zusammenhang verstehen?
In der ersten Hälfte des Seminars sollen Texte zur Natur des Selbst gelesen und diskutiert werden. Die zweite Hälfte widmet sich dann dem Thema „Selbstbewusstsein“. Neben traditionellen philosophischen Positionen werden auch moderne Positionen diskutiert werden, die neurowissenschaftliche Befunde in die Debatte mit einbeziehen.