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SVR: Yannick Zahay: Rettungsschwimmer oder Räuber? Globale Armut als moralische Metapher

Studierendenvortragsreihe
  • Wann 21.11.2018 von 18:15 bis 19:15
  • Wo Unter den Linden 6, Raum 2094
  • iCal

Abstract:

Das Ausmaß globaler Armut ist nach wie vor katastrophal. Je nachdem, welche internationale Armutsgrenze als aussagekräftig erachtet wird, leben der Weltbank zufolge derzeit mindestens zwischen 736 Millionen Menschen (ausgehend von einer äußerst niedrigen Grenze von $1.90 pro Tag) und 3.4 Milliarden Menschen (ausgehend von einer höheren, sozioökonomisch differenzierteren Grenze von $5.50 pro Tag) in bitterer Armut. Gleichzeitig leben die meisten BürgerInnen der 36 OECD-Staaten in einem immensen Wohlstand, der ihnen einen konsumintensiven Lebensstil ermöglicht. Auf die moralische Problematik dieser Diskrepanz machte Peter Singer bereits in seinem im Jahr 1972 erschienenen Artikel “Famine, Affluence, and Morality” aufmerksam. Dass wohlhabende Individuen die moralische Pflicht hätten, dass Leid der vielen Bedürftigen zu lindern, veranschaulicht Singer dort anhand einer berühmt gewordenen Analogie: Wenn wir unseren überflüssigen Wohlstand nicht dafür einsetzen, den in Armut lebenden Menschen zu helfen, handelten wir so, als würden wir tatenlos an einem flachen Teich vorbeigehen, in dem gerade ein Kind ertrinkt, das wir problemlos retten könnten. Diese Analogie als Ausgangspunkt nehmend, werde ich kritisch untersuchen, ob wir im Kontext globaler Armut tatsächlich solche “Rettungsschwimmerpflichten” erfüllen müssen, beispielsweise indem wir, wofür Singer handlungsutilitaristisch argumentiert, regelmäßig einen Großteil unseres Vermögens an Hilfsorganisationen wie Oxfam spenden. Zunächst werde ich Singers utilitaristische Perspektive konsequent anwenden, um zu zeigen, dass sein Moralprinzip uns zwar durchaus anspruchsvolle Pflichten vorschreibt, diese das Problem der Weltarmut letztlich aber nicht unmittelbar tangieren, sondern vielmehr auf die Verhinderung des Klimawandels und anderer existenzieller Risiken abzielen. Denn für utilitaristische Positionen, die bekanntlich umfassende Unparteilichkeit fordern und laut Henry Sidgwick ausgehend vom losgelösten “Standpunkt des Universums” urteilen sollten, macht es keinen moralisch relevanten Unterschied, ob unsere Handlungen das Wohlergehen gegenwärtiger oder zukünftiger Personen steigert. Dieser inhaltliche Schwenk ist jedoch problematisch, da die Weltarmut kein abstraktes Problem ist: Wir sind in vielerlei Hinsicht kausal in ein komplexes globales Netz aus Rohstoffaneignung und fragwürdiger Kreditgewährung verstrickt, welches die Ausbeutung und Unterdrückung armer Menschen perpetuiert. Abschließend werde ich deshalb betonen, dass fortan, um das Problem der Weltarmut empirisch akkurat zu erfassen und normativ überzeugend zu bewerten, ein alternativer metaphorischer Rahmen innerhalb der globalen Ethik verwendet werden sollte, der wohlhabende Staaten und deren BürgerInnen als involvierte Räuber und Hehler auffasst.

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